An ihrem 70. Geburtstag hat Edith O. ihr Umfeld „geschockt“. Die Frankfurterin ging mit ihren kurzen grauen Haaren zum Friseur – und kam grasgrün gefärbt zurück.
„Wie siehst du denn aus!?“, habe eine Freundin gefragt und sei mit dem Auto erst an ihr vorbeigefahren, erinnert sich O. „Aber ab 70“, sagt sie und grinst, „ist alles erlaubt!“
Heute ist Edith O. 72 Jahre alt. Die Haare sind immer noch kurz, inzwischen aber wieder grau. Im Frühjahr sollen sie zum 73. Geburtstag dann wieder grün werden. „Ab und zu“, erklärt O., „muss ich selbst etwas machen, das mich zum Lachen bringt.“
Viel zu lachen hat und hatte sie nicht immer: Ihre Ehe brachte zwar drei Kinder hervor, ging jedoch schnell in die Brüche. Danach geriet sie in eine Beziehung, die für sie „sieben Jahre die Hölle“ bedeutete. Sie sei geschlagen worden und gleichzeitig abhängig von Tabletten und Alkohol geworden. Damals lebte sie in Darmstadt, aufgewachsen ist sie in der Rhön. Als sie es nicht mehr aushielt, ging sie ins Frauenhaus nach Frankfurt. „Eine gute Zeit“, sagt O., die heute trocken ist, bedauert jedoch: „Die Kinder habe ich vernachlässigt, weil ich mich um mich kümmern musste.“
Die Wände in ihrer Wohnung sind nackt, die Tapete ist bis auf eine Stelle in Edith O.s Wohnzimmer abgenommen. Sie hat erreicht, dass die schlichte Wohnung mithilfe des Sozialrathauses renoviert wird. Dennoch ist Weihnachtsstimmung zu spüren: An einer nackten Wand ist ein Haselnussstrauch befestigt. An ihn hat sie mit roten Bändern Porzellanglocken gehängt. Eine geschnitzte Sängergruppe steht zwischen Kerzenständern auf dem Fensterbrett.
Seit fast 20 Jahren wohnt sie hier und „will auch nicht mehr weg“. Zum Advent hat sie die Wohnung zur Weihnachtsbäckerei umfunktioniert: Große Boxen mit Butterplätzchen lagern im Flur, in der Küche stehen Mehl und Zucker bereit. Gebacken wird für Freunde und Verwandte. Zu zweien ihrer Kinder hat sie trotz der schwierigen Jahre noch Kontakt. Mit ihnen verbringt sie auch Heiligabend. Fünf Enkelkinder gilt es, mit Süßem zu versorgen.
Selbst könnte sie die Arbeiten an der Wohnung nicht finanzieren. Sie beziehe eine Rente von rund 700 Euro, da sie vor und nach den Schwangerschaften ein paar Jahre bei der Post gearbeitet habe. Das Geld vom Sozialamt fließe komplett in ihre Miete.
Von der FR-Altenhilfe habe sie erst dieses Jahr erfahren. Glücklicherweise. Mit dem Geld will sie eine große Pflanze bei der Schwester in Darmstadt abholen. Allein schaffe sie das nicht: „Dafür braucht man einen größeren Wagen und Fahrer.“ Den Rest wolle sie sich aufheben, um im Frühjahr dann, mit grünen Haaren, Geburtstag zu feiern. Jakob Maurer