Mit einem Schlag hat Dorothee Sch. alles verloren, was ihr Leben über lange Jahre geprägt und erfüllt hat. Trotz des tiefen Sturzes aus glanzvoll erlebten Höhen hat die Neu-Isenburgerin ihr humorvolles Temperament nicht eingebüßt, sich vielmehr abgefunden mit den Unwägbarkeiten des Daseins.
Heute lebt die 76-Jährige von 260 Euro im Monat und den Herzlichkeiten eines treuen Freundeskreises. Die Miete in der Zweizimmerwohnung eines Siedlungshauses – „mein kleines Reich“ – wird ebenso vom Sozialamt angewiesen wie die Grundsicherung. Benötigte Lebensmittel holt sie regelmäßig bei der Tafel ab.
Weil Dorothee Sch. „lebenslang selbstständig“ war, muss mit dem „Basis-Tarif“ einer privaten Krankenversicherung gewirtschaftet werden. „Für meine Medikamente trete ich in Vorkasse, bekomme die Erstattung aber erst Wochen später.“
Ihre Lebensbahn beginnt 1943 in Schlesien und setzt sich nach der Flucht in der „streng katholischen“ Rhön fort. Kaum den Kriegswirren entronnen, stirbt ihre Mutter 23-jährig an Diphtherie. Als Vollwaise wird das Mädchen von den Großeltern adoptiert und „liebevoll aufgezogen“. Nach deren Tod beginnt die Enkelin eine Banklehre in Frankfurt, wo sie zunächst ihren Beruf in gesicherter Stellung ausübt.
Eine Freundin ist schließlich Sendbotin des Schicksals. „Sie hat mich in das Promotion-Metier eingeführt, der Präsentation von Mode.“ In Düsseldorf werden Wickelkleider – „damals der neueste Schrei“ – vorgeführt, der Verdienst ist fürstlich, wie sie sagt. Kurz entschlossen habe sie dann die Branche gewechselt und nach einem Vierteljahr schon als Bezirksleiterin der Firma gearbeitet.
Bevor Dorothee Sch. sich mit eigener Agentur selbstständig macht, lernt sie während eines Kosmetik-Auftrages ihren mittlerweile verstorbenen Lebenspartner kennen. Das Unternehmen läuft über 26 Jahre lang äußerst einträglich – „wir haben Produkte für deutsche Konzerne geprüft“ – und wächst auf 220 Mitarbeiter an. Die Inhaberin gilt bei ihren Leuten als loyal und engagiert, stets dem Wohl der Belegschaft verpflichtet.
„Ich hatte alles“, sagt die Seniorin heute. Als sie eine halbe Million Euro für den Lebensabend anlegen will, nehmen die Dinge eine unvermutete Wendung. Die beauftragte Bank investiert in riskante Fonds „à la Riesenrad-Projekt in Shanghai“. Innerhalb kurzer Zeit verliert die damals 63-Jährige ihre gesamten Ersparnisse, wird zum Sozialfall. „Ich habe Anwälte eingeschaltet, aber es war alles umsonst.“
Mit positivem Denken habe sie sich aus der anfänglichen Depression befreit – „und bin heilfroh, dass ich gesund und bei Verstand bin“. Obwohl Dorothee Sch. weder Kinder noch lebende Verwandte hat, ist sie keinesfalls einsam, versichert sie. „Zu Weihnachten kommen noch immer Päckchen und Grüße von ehemaligen Mitarbeitern.“ Mit ihren besten Freundin – „seit über 50 Jahren“ – wird sie das Weihnachtsfest feiern.
„Das Unbeschwerte vergangener Tage vermisse ich heute manchmal.“ Dankbar ist sie für die Altenhilfe-Zuwendung, mit der bald fällige Versicherungskosten bestritten werden sollen. Ihr betagter Kleinwagen – „ein Stück Freiheit“ – ist heute von entscheidender Bedeutung: „Wenn ich den nicht mehr habe, falle ich wirklich in ein Loch.“ ov