Gustav W. sitzt auf seinem bequemen Stuhl in seinem Wohnzimmer. Das Möbelstück mit der hohen Lehne hat er selbst aufgebaut. Er habe schon immer gern Dinge repariert oder zusammen geschraubt, sagt der 66-Jährige.
Dann beginnt er die unfassbare Geschichte seiner Kindheit zu erzählen. Seine Geburt in einem Frankfurter Krankenhaus sei schwierig gewesen. Bei seiner Zwillingsschwester lief noch alles glatt, doch W. lag quer und trug einen Hüftschaden davon. Ein Jahr musste er im Krankenhaus verbringen, eine enge Bindung zu seiner Mutter sei nicht entstanden.
Als er schließlich aus dem Krankenhaus nach Hause in die Nähe von Dreieich darf, kann er noch nicht laufen und auch andere Entwicklungssprünge verzögern sich. Trotzdem wird er mit sechs Jahren eingeschult. „Zu früh“, wie W. heute sagt. Auch an der Schule nimmt das Schicksal des 66-Jährigen keine gute Wendung. Seine Lehrerin habe ihn missbraucht. Anfangs heimlich auf der Schultoilette, später nahm sie ihn auch mit nach Hause. Irgendwann sei auch Prügel hinzugekommen. Damals vertraute sich das Kind niemandem an.
W.‘s Noten fielen durch die Belastung ab. Das missfiel den Eltern und es setzte auch zu Hause Hiebe. „Es gab Tage, da wurde ich dreimal verprügelt.“ Der Missbrauch setzt sich fort, bis W. 14 Jahre ist. Mit Ach und Krach schafft er den Volksschulabschluss. Eine Ausbildung macht er nicht. Anfang der 70er Jahre bricht eine Hormonstörung bei ihm aus. 25 Jahre lang wird sie nicht diagnostiziert. „Damals hing ich in den Seilen“, erzählt er. Sein Busen wächst, er hat Schmerzen im Schritt und bekommt Angstzustände.
Es gab Tage, an denen ging es und Tage, an denen er nicht mehr konnte. Dadurch habe er nur ab und zu arbeiten können. Einige Zeit war er Friseur, half in einer Schleiferei aus oder arbeitete im Konsum. „Einzelhandelskaufmann hätte mir gut gefallen.“ Doch auch hier erlebte er wieder Gewalt. Weil er nicht gut genug rechnen konnte, schlug sein Chef ihn.
„Die 25 Jahre vermisse ich heute in der Rente“, sagt W. Später sei er noch mal Hausmeister geworden, weil er doch so gerne repariere. Seine ehemalige Tablettensucht, die Gehbehinderung, seine Diabetes, die Prostataprobleme und andere Operationen erwähnt er nur am Rande. Er wolle lieber nach vorne blicken.
„Ich bin so froh, dass ich die Altenhilfe bekomme“, sagt er. Von dem Weihnachtsgeld möchte er unter anderem die Volkshochschule besuchen und einen Computerkurs machen. Von 230 Euro lebt er nach Abzug der Miete monatlich. Alle sechs Wochen brauche er Tabletten, die er selbst zahlen müsse. W. hat ein Hobby gefunden, das ihn glücklich macht. Er modelliert Büsten und Figuren aus Wachs und Silikon. „Mein Traum ist, irgendwann davon leben zu können und vom Sozialamt wegzukommen.“ mic