Für Helene T. ist „das Kuvert“ ein großes Glück. „Dank der Altenhilfe“ , so die 76-Jährige, „habe ich darin immer etwas Geld zur Hand, mit dem ich mir Notwendiges leisten kann.“
Jetzt wäre eigentlich ein neues Bett vonnöten – was derzeit jedoch nicht finanziert werden kann. „Stattdessen mal wieder eine gute Hautcreme.“
Seit mehr als 20 Jahren wohnt die Wiesbadenerin zur Miete, bewältigt die Treppen in den ersten Stock trotz künstlicher Kniegelenke und neuer Hüfte. Schmerzen gehören ebenso zur Tagesordnung wie der Wille zur Unabhängigkeit: „Man muss sich fordern und darf nicht schlampern.“
Unterstützung der Altenhilfe hat die Seniorin erstmals 2009 bezogen. Längst wird die 480-Euro-Miete vom Amt übernommen, bleiben 360 Euro für die monatliche Existenz. Bescheidenheit bestimmt den Rhythmus einer Frau, die nach Ehe und Scheidung „ewig schon alleine“ ist. „Wenn Armut herrscht, vereinsamt man total.“ Selten wird warm gegessen, oft reichen „ein schönes Brot, Knoblauch, Tomate und Quark“ aus. Den fernen Freundinnen schreibt Helene T. leidenschaftlich gern Briefe, das Fernsehen gilt ihr als „ein und alles“ .
1944 in Nürnberg zur Welt gekommen, liegt eine schmerzlich durchlebte Kindheit und Jugend vor ihr. Der 19 Jahre alte Vater wird kurz vor Kriegsende zu den Soldaten geholt und fällt bald in Frankreich. „Die Familie vom Papa hat mich abgelehnt.“ Die Mutter – „18 Jahre jung und bildschön“ – ist überfordert, prügelt die Tochter bei jeder Gelegenheit, sperrt sie regelmäßig in der Wohnung ein.
Zuweilen ist sie in der Obhut von Tanten, wechselt nach der Volksschule auf die Frauenfachschule. Obwohl Helene T. schon in frühen Jahren Krankenhäuser, Lungenheilanstalten und Schullandheime kennenlernt, beendet sie eine Lehre zur Einzelhandelskauffrau im Modehandel. „Es war immer wenig zum Essen da, ich war als Jugendliche wie ein Stecken.“
Es verschlägt die Frau nach Frankfurt, wo sie in einer Filiale des Unterwäsche-Spezialisten Wolford arbeitet. Während der 70er Jahre zieht sie „der Liebe wegen“ nach Wiesbaden. Krankheiten sind ständige Begleiter, irgendwann kann sie ihren Beruf nicht mehr ausüben. „Aber aufs Ämtchen wollte ich nie.“
Helene T. holt ihre Mutter – „ich habe sie rückblickend verstanden und ihr verziehen“ – von Nürnberg nach Wiesbaden, bringt die demente Frau in einem Stift unter und kümmert sich um sie. Weil Urlaube und Ausflüge, Theater und Konzerte nicht mehr möglich sind, verlegt sie die Sommersaison auf den heimischen Balkon, den sie mit Pflanzen stets aufs Neue verschönt. „Dort lese und male ich, fühle mich geborgen.“
„Das alles verdanke ich der Altenhilfe“ , sagt heute eine Frau, deren Motto auch durch schwere Zeiten trägt: „Nur nicht jammern!“ Olaf Velte