Die Angst hat vieles unmöglich gemacht. Wenn Michael P. seine Wohnung verlassen hat, so berichtet der 69-Jährige, „bin ich früher nur rückwärts gegangen, dass mir keiner begegnet“.
P. war 21 Jahre alt, hatte gerade seine Lehre als Maler und Verputzer abgeschlossen, als ihn die Furcht vor anderen Menschen erfasste. „Soziale Phobie“ ist der medizinische Begriff für die Angststörung. Durch seinen Vorarbeiter, der selbst daran litt, habe sich die Angst auf ihn übertragen, berichtet er.
„Da bin ich völlig aus dem Konzept gekommen“, sagt P., der sich bis zu diesem Zeitpunkt als „immer sehr freundlichen Menschen“ beschreibt, der „jedem zugewunken“ habe. Das wurde ihm zum Verhängnis. In der Kleinstadt, in der er groß geworden war, kannten ihn viele, wollten ein Schwätzchen mit ihm halten, wenn man sich auf der Straße traf.
„Bis in die Glieder“ sei ihm da die Furcht gefahren, und er sei, ohne ein Wort zu sagen, weitergelaufen. „Ich bin erschrocken“ , sagt Michael P. „Wenn jemand bei mir geklingelt hat, habe ich Herzrasen bekommen.“ Irgendwann folgte „die Angst vor der Angst“, dass er andere mit seinem merkwürdigen Verhalten vor den Kopf stoßen könnte.
Eine regelmäßige Arbeit sei nicht mehr möglich gewesen. Er hielt sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, zog in die nächstgrößere Stadt, wo ihn niemand kannte. „Ich musste mit wenig Geld auskommen, habe teilweise vom Gesparten gelebt“, sagt P. Als es nicht besser wurde, zog er weiter nach Frankfurt, ließ sich in eine psychosomatische Klinik einweisen.
Mit 38 Jahren wurde er erwerbsunfähig. Seine kleine Rente wird mit der Grundsicherung verrechnet. P. muss mit 350 Euro monatlich auskommen. „Das ist schwierig“ , sagt er. Was ihm hilft, ist die FR-Altenhilfe. Mit der Spende kann er sich Zubehör für sein Fahrrad leisten. Als er mit Ende 30 sein Auto abgeben musste, stieg er notgedrungen auf Drahtesel um.
Langsam sei das Radeln zum Hobby geworden. Mit einem Bekannten hat er lange Touren unternommen. Bis Tschechien und Ungarn sind sie gestrampelt, haben wild gezeltet und sind so günstig gereist. Woher die Ängste kommen, kann P. nur vermuten. Seine Mutter habe sich das Leben genommen, als er elf Jahre alt war. Die jüngere Schwester und zwei ältere Brüder seien „alle was geworden“, hätten Arbeit, Familie, Häuser.
Auch sie unterstützten ihn, und er sei froh, dass sich seine Ängste bei Familienbesuchen in Grenzen hielten. An eine Partnerin oder Kinder war für P. nie zu denken. „Ich hätte natürlich gerne Frau und Familie gehabt.“ Doch durch die Krankheit „habe ich nichts auf die Reihe gebracht“. Clemens Dörrenberg