Wenn Adele B. über die Altenhilfe spricht, kommen ihr die Tränen. „So etwas Liebes, solch eine Hilfe“, sagt die Wiesbadenerin mit belegter Stimme.
Hinter der 72-Jährigen liegt ein Lebensweg, der niederschmetternder kaum sein könnte und ständig am Existenzminimum verlaufen ist. Heute lebt die von diversen Krankheiten und Angstzuständen heimgesuchte Seniorin in einer Zwei-Zimmer-Wohnung und muss mit rund 200 Euro im Monat zurechtkommen. Die Rente von 603 Euro wird von der Sozialhilfe aufgestockt, auf der Sollseite schlagen 485 Euro Miete nebst laufenden Kosten zu Buche.
Kontakt hält die einer Roma-Familie entstammende Frau – „als einzige von zehn Geschwistern beherrsche ich noch die Muttersprache“ – nur noch zu ihren Töchtern und Enkeln.
Große Sprünge konnte Adele B. nie machen. Aufgewachsen in einer Wiesbadener Barackensiedlung und unter Bedingungen, die sie selbst als „asozial“ bezeichnet, kommt sie im Alter von zehn Jahren in ein Kinderheim. „Zur Schule durfte ich nie gehen, ich musste als Älteste auf meine Schwestern und Brüder aufpassen.“
Die Mutter sei betteln und hausieren gegangen, der Stiefvater ständig betrunken gewesen. Schläge und drückende Armut gehören zur Tagesordnung. „Vor Hunger habe ich oft das pure Mehl gegessen.“
Aus dem Heim flüchtet sie nach wenigen Monaten, sucht Unterschlupf bei Tante und Onkel, die in Frankfurt mit Teppichen handeln. Adele B., die weder lesen noch schreiben gelernt hat, übernimmt alsbald eine Putzstelle, um anschließend bei der Sektkellerei Henkell am Fließband zu arbeiten.
Die „gute Zeit“ endet, als sie schwanger wird, ihre erste Tochter zur Welt bringt und mit einem „saufenden“ Freund zusammenlebt. In der Folge wechseln die Partner, Alkoholismus, Gewalttätigkeit und zerstörte Beziehungen aber bleiben. Eine zweite Tochter und ein Sohn werden geboren. Den Jungen verliert die Wiesbadenerin früh – „was mich Tag und Nacht begleitet“.
In den 1980er Jahren arbeitet sie in einer Kneipe, versucht sich schließlich selbst als Wirtin. Alte Bekannte werden zu Mitbewohnern und Liebhabern, darunter ein Dealer, der das Heroin in die Zweisamkeit und neue Abhängigkeiten bringt.
Einmal lässt sie alles hinter sich, putzt im städtischen Postgebäude, muss ihre minderjährigen Kinder aber stundenweise in der Wohnung alleine lassen. Es ist ein ständiger Kampf der Selbstbehauptung, des Durchkommens. Eine Existenz am Rande, die Adele B. nicht in die Mutlosigkeit getrieben hat.
Heute ist die 72-Jährige dankbar für die eingetretene Ruhe, und besonders für die Zuwendungen der Altenhilfe. Zuletzt hat sie sich neue Bettwäsche und Zudecken angeschafft. „Und mir einen Solariumtermin für mein lädiertes Kreuz gegönnt.“ Olaf Velte