Die Wirbelsäule ist „irreparabel kaputt“, eine Niere fehlt, doppelter Leistenbruch, der dauerhafte Blasenkatheter ist auch nicht gerade erquicklich. Sebastian R. erwähnt das wie nebenbei.
Durch seine Gehbehinderung gilt er zu 80 Prozent als schwerbehindert. „Was machst du eigentlich noch auf dieser Welt?“ Fragen wie diese kommen da immer wieder hoch. Werden weggedrückt. Es muss ja weitergehen.
Kurze Wege zum Supermarkt um die Ecke kann der 74-Jährige noch gut bewältigen, weitere Strecken nicht. Da hat er zum Glück ab und zu seine „Mädels“, wie er die Enkelinnen nennt, die ihn dann mal fahren können. Die Mädels gehören zu den Lichtblicken im Leben von Sebastian R. Sie kommen auch mal als „Räumkommando“ zum Putzen in die kleine Zwei-Zimmer-Wohnung in Langen.
Demnächst wollen sie ihm das Wohnzimmer streichen. Anfangs waren es die erwachsenen Söhne, die geblieben sind nach der „sehr unangenehmen Scheidung“ vor 20 Jahren. Zu ihnen hat er weiter ein gutes Verhältnis. Sie wohnen nicht weit weg. „Die Scheidung hat mich weggebeamt“, sagt er heute, ein Sturz ins Bodenlose, auch finanziell. „Davon habe ich mich nie erholt.“ Aber: „Man ist ja für alles mitverantwortlich.“
Ja, das ist „alles lange her“, aber immer präsent, wenn Sebastian R. darüber sinniert, warum er „finanziell minderbemittelt“ ist. Den Vertrieb einer Medienfirma in Frankfurt hat der gelernte Kaufmann damals organisiert, auf selbstständiger Basis, da fällt auch der Begriff „Trickserei“. In die Rente eingezahlt hat er nur wenig. Auch nicht als Geschäftsführer in der Gastronomie in früheren Zeiten.
Nach dem Crash blieben nur 520 Euro Rente. Die jüngste Erhöhung wird ihm von der Grundsicherung abgezogen, da bleibt nicht viel übrig. „Einmal im Strudel, dann ist man drin.“
Aus dem gefühlten Abstiegssog ist er nicht mehr herausgekommen. Spätere Beziehungen sind auch gescheitert, immer war zu wenig Geld da, die gesundheitlichen Einschränkungen, das kratzt nicht nur am Selbstwertgefühl. „Das ist ja auch für die Frau kein Spaß.“ Es klingt bitter, wenn er so redet.
Ohne Unterstützung würde für ihn nicht viel gehen. Die FR-Altenhilfe gehört dazu, für deren Zuschuss ist er seit drei Jahren dankbar. Allein für Kompressen, Desinfektionsmittel für den Katheter und Schmerzmittel braucht er fast 40 Euro im Monat. Die Krankenkasse übernimmt solche Kosten nicht.
Auf eine Reha hofft er schon lange, betteln will Sebastian R. nicht. Dann sich lieber bescheiden und nur einmal im Monat samstags zum Markt in Langen, auf ein Bier und einen Schwatz mit alten Bekannten. Jürgen Streicher