„Ich bin seit 30 Jahren ohne Arbeit.“ Der das sagt, ist zu hundert Prozent schwerbehindert und ständig auf Medikamente angewiesen.
1995 hat sich Karl H. mit HIV infiziert, wurde drei Monate lang in einem Krankenhaus und unter Einsatz neuartiger Arzneimittel behandelt. Von „furchtbaren Nebenwirkungen“ erzählt der Frankfurter, aber auch von einem Professor, der „mir das Leben gerettet hat“.
In einer Sozialwohnung lebt der heute 70-Jährige auf 45 Quadratmetern, seine kleine Rente wird durch die Grundsicherung aufgebessert. Trotz „geschädigter Nerven“, Herzproblemen und eines eingeschränkten Bewegungsradius könne er sich noch gut selbst versorgen. „Radfahren klappt besser als Laufen.“
Von dem wenigen monatlich verfügbaren Geld versucht Karl H. notwendige Rücklagen zu bilden, leistet sich hin und wieder „ein gutes Brot“. Die Altenhilfe sei „immens wichtig, großartig“ – von der diesjährigen Weihnachtszuwendung will er sich eine neue Winterjacke anschaffen.
Alles beginnt in Berlin, wo der spätere IT-Fachmann als Einzelkind aufwächst. Schon in jungen Jahren engagiert er sich „politisch“, pendelt als „Kurier“ zwischen dem West- und dem Ostteil der Stadt. Vom Staatsicherheitsdienst verhaftet und anschließend verurteilt, muss der Idealist für anderthalb Jahre ins Gefängnis Cottbus. „Sogar Herbert Wehner hat sich damals für meine Entlassung eingesetzt.“
Wieder in Freiheit – „und unterernährt“ – folgt er seinen Eltern, die mittlerweile in der Main-Taunus-Gemeinde Kriftel ansässig geworden sind. Karl H. absolviert bei Neckermann in Frankfurt eine Lehre zum Außenhandelskaufmann, studiert danach Betriebswirtschaft und gründet mit seinem Lebensgefährten eine Marketingfirma in Offenbach.
Aids macht alle Zukunftshoffnungen zunichte. „Mein Freund ist 1993 verstorben.“ Kurze Zeit später erkrankt auch er und muss die Firma abmelden, das gemietete Häuschen aufgeben. Seine Mutter habe ihn damals sehr unterstützt, sagt der Mann, der heute auf einen „kleinen Freundeskreis“ vertrauen kann.
Als „Optimist“ ist das Nichtstun für ihn keine Option. Die Frankfurter Aids-Hilfe wird sein ehrenamtliches Betätigungsfeld, er engagiert sich besonders in der damals noch existenten Zeitschriftenredaktion. Danach und bis zum endgültigen Ruhestand nimmt Karl H. einen Minijob in der Geschäftsstelle eines Volleyballvereins wahr, „17 Jahre lang“.
Nach einem Herzenswunsch gefragt, muss der 70-Jährige nicht lange überlegen: „Noch einmal nach Berlin reisen – nach all der Zeit!“ Dafür aber heißt es „sparen, sparen“. Olaf Velte