Die AWO plant in den Außenanlagen ihrer Einrichtungen in Frankfurt und Oberursel einen Bewegungsparcours. Die FR-Altenhilfe übernimmt den Großteil der Kosten.
Der Mann sitzt im Rollstuhl. Er hat nur noch ein Bein, das andere wurde ihm amputiert. Trotzdem wuchtet er sich jeden Morgen mit den Armen aus dem Rollstuhl hoch, absolviert Übungen.
Eine scheinbar kleine Begebenheit, die viel in Gang gesetzt hat. Dirk Barth, beim Kreisverband Frankfurt der Arbeiterwohlfahrt (AWO) für Fundraising zuständig, beobachtete den Mann, von dem er vermutet, dass er aus der Ukraine nach Deutschland gekommen ist, regelmäßig dabei, wie er auf dem Gelände des August-Stunz-Zentrums der AWO Frankfurt Sport machte.
„Ich fand es sehr beeindruckend, wie er versucht, sich fit zu halten – und habe mir gedacht, vielleicht geht es noch mehr Menschen so, dass sie das Bedürfnis haben, sich körperlich zu betätigen oder zumindest mit dem Gedanken daran spielen, ihnen bislang aber die richtige Motivation und Trainingsmöglichkeit fehlt.“
So kam Dirk Barth die Idee, im Außenbereich der AWO am Röderbergweg in Frankfurt Bewegungs-Angebote für die Bewohnerinnen und Bewohner zu schaffen. „Natürlich gibt es bei uns auch Indoor-Veranstaltungen wie Gymnastik mit Bällen oder Turnstunden“, erklärt Barth: „Aber ein Angebot in der Gartenanlage kann vielleicht noch einmal eine größere Motivation sein, wegzukommen von Couch und Fernseher und das eigene Zimmer zu verlassen.“
„Ganz niedrig“ solle das Einstiegslevel sein, „ganz klein“ die Zugangshürde und das gesamte Setting so gestaltet, dass es von den Bewohnerinnen und Bewohnern der Einrichtungen ebenso genutzt werden kann wie von Angehörigen und Kindern, sagt Jörg Wilhelm, Geschäftsführer der Johanna-Kirchner-Stiftung, die in Frankfurt und Oberursel drei Pflegeeinrichtungen der AWO betreibt.
Insgesamt werden dort mehr als 500 Menschen von rund 600 hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Voll- und Teilzeit gepflegt und betreut. In diesen drei Einrichtungen, dem August-Stunz-Zentrum und dem Johann-Kirchner-Pflegezentrum in Frankfurt sowie dem Traute und Hans Matthöfer-Haus in Oberursel, soll die Idee nun umgesetzt und jeweils ein Bewegungsparcours in den Außenanlagen installiert werden.
Die Kosten für die drei Anlagen liegen bei insgesamt 65.000 Euro. Davon übernimmt die Altenhilfe der FR mit 50.000 Euro den größten Anteil, die restlichen 15.000 trägt die AWO selbst. „Zunächst hatten wir nur daran gedacht, eine Einrichtung mit einem Bewegungsparcours auszustatten, doch mit Unterstützung der Altenhilfe ist es nun möglich, das in allen Anlagen der AWO zu tun“, sagt Barth.
„Die oberste Aufgabe der Altenhilfe ist es, alten Menschen direkt und konkret zu helfen“, erklärt Thomas Kaspar, Chefredaktion der Frankfurter Rundschau: „Dieses Projekt hat uns überzeugt, weil es Wissen darüber schafft, wie ein Leben im Alter leichter und schmerzfreier gelingen kann.“ Die Unterstützung durch die Altenhilfe bezeichnet er als „merkliche Investition mit einer sich multiplizierenden Wirkung“.
Mit der Installation soll begonnen werden, wenn kein Bodenfrost mehr zu erwarten ist, voraussichtlich also im nächsten März. Alle drei Einrichtungen werden mit jeweils drei Geräten ausgestattet, die das auf Freizeit-Anlagenbau spezialisierte Unternehmen Playparc aus Bad Driburg in Nordrhein-Westfalen liefert.
Es handelt sich dabei um einen „Rolli-Ergometer“, eine Gangschule und einen Faszienroller. Der Rolli-Ergometer dient vor allem der Mobilisation der Schultergelenke, des Schultergürtels und der Kräftigung der Arme. An der Gangschule werden auf unebenem Kunststoff-Untergrund Beweglichkeit und Gleichgewichtssinn trainiert, während der Faszienroller vor allem auf die Entspannung des Rückens zielt.
Zwei ältere, bereits im Garten des August-Stunz-Zentrums stehende Geräte sollen zudem ertüchtigt und attraktiver gemacht werden, sagt Jörg Wilhelm, so dass der Parcours an diesem Standort dann fünf Stationen umfassen wird. Eines dieser Geräte ist ein Arm-Ergometer, bei dem man sich auf eine Bank setzt und mit den Händen „Fahrrad fährt“, das andere der „Heiße Draht“, zum Trainieren der Koordination.
Der Auswahl ging eine umfangreiche Recherche voraus. Was ist geeignet für hochbetagte Menschen – die Hauptzielgruppe – und berücksichtigt gleichzeitig, dass diese Altersgruppe sehr heterogen ist, was körperliche und kognitive Fähigkeiten angeht – auch in Pflegeeinrichtungen und Wohnanlagen? Der Hundertjährige, der noch regelmäßig alleine spazieren geht, ist ebenso vertreten wie der 80-Jährige mit hohem Pflegegrad.
Dirk Barth fand zwei Studien zum Thema aus Lappland und Wien, gelungene Beispiele aus der Praxis in der Nähe jedoch wenige. Beim Landessportbund Hessen in Frankfurt verwies man ihn an den Sportwissenschaftler Jan Ries von der Hochschule Fulda, den die AWO als beratenden Experten mit ins Boot holte.
Alle Geräte sind einfach in der Anwendung und so konzipiert, dass sie von hochbetagten Menschen, im Rollstuhl oder mit dem Rollator, und auch von Osteoporose-Patientinnen und -Patienten ohne nennenswerte Verletzungsgefahr genutzt werden können, erklärt Dirk Barth: „Wir wollten nichts Kompliziertes, nichts Anstrengendes, nicht Unfallträchtiges, was aber dennoch einen Effekt hat für mehrere Körperregionen, die man damit trainieren kann.“
Auch Menschen mit Demenz können die Geräte nutzen, sollten das aber zumindest am Anfang nicht unbegleitet tun, sagt Barth. Elementar ist zudem, dass die Geräte leicht zu verstehen sind – was nicht in der erster Linie der Zielgruppe geschuldet ist; muss vorher erst eine komplizierte Anleitung studiert werden, so stellt das für Menschen jeglichen Alters einen Hinderungsgrund dar.
Die Messlatte, die Übungen am Gerät richtig auszuführen, sei so niedrig, „dass man eigentlich nichts falsch machen kann“, ergänzt Jörg Wilhelm. „Auch die Beschilderung sollte ganz einfach sein, in leicht verständlicher Sprache, möglichst bebildert, vielleicht auch einem Video zur Anleitung“, sagt er.
Es sei wichtig, erläutert Dirk Barth, dass die Bewohnerinnen und Bewohner schnell erkennen, was sie mit diesen Geräten anfangen und sie autark nutzen können, auch wenn gerade niemand vom Personal in der Nähe ist.
In der Belegschaft sei man „Feuer und Flamme“ gewesen, als das Konzept vorgestellt wurde, berichtet Jörg Wilhelm. Ohne die Unterstützung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die für Pflege und die soziale Betreuung zuständig sind, wäre ein solches zusätzliches Angebot nur schwerlich umzusetzen beziehungsweise mit Leben zu füllen.
Die Pflege habe sich in den vergangenen Jahrzehnten stark gewandelt, erklärt Wilhelm. Nicht nur, dass sie „akademisch geworden“ sei, es ein gesetzlich vorgeschriebenes Qualitätsmanagement gebe und sämtliche Leistungen dokumentiert werden müssen. Insbesondere auch die soziale Betreuung, „die Art und Weise, wie man sich beschäftigen möchte“, habe sich verändert: „Vom Topflappen-Häkeln hin zur Outdoor-Aktivierung“, formuliert es Jörg Wilhelm.
Er sieht in dem künftigen Bewegungsangebot überdies auch einen Beitrag zur Umsetzung von Expertenstandards in puncto Schmerzmanagement. Die Hoffnung: „Wer Übungen an diesen Geräten regelhaft durchführt, kann Linderung erfahren oder zumindest Verschlechterung verhindern.“
Ein Knackpunkt des so überzeugend klingenden Konzepts ist freilich die Frage, wie die Bewohnerinnen und Bewohner der Einrichtungen an die Geräte herangebracht und animiert werden, sie zu nutzen. Sportwissenschaftler Jan Ries sagt dazu: „Man kann eine Küche perfekt mit Gewürzen ausstatten. Wenn man nicht gelernt hat, sie richtig einzusetzen, wird kein gutes Essen kredenzt werden. Ähnlich ist es mit solchen Stationen. Jemand muss wissen, was dort genau steht, wie es zu bedienen ist, und andere einladen, das zu nutzen.“
Deshalb werden nun die Sozialbetreuerinnen und Sozialbetreuer, in deren Aufgabenbereich es vornehmlich fällt, darin geschult. Darüber hinaus sind Vertreterinnen und Vertreter aus verschiedenen Bereichen der AWO in die Vorbereitungen eingebunden, denn es gilt unter anderem auch Fragen nach den laufenden Kosten, der Wartung und der Haftpflicht (wenn doch einmal etwas passieren sollte) zu klären.
Aus der Belegschaft kam zudem die Anregung, Sitzmöglichkeiten in der Nähe der Geräte zu schaffen. Dirk Barth findet die Idee gut: „Der Bewegungsparcours ist kein starres Gebilde. Auch eine Erweiterung mit zusätzlichen Geräten ist möglich. Platz genug haben wir.“ Pamela Dörhöfer