Mit ihren 77 Jahren klingt Gisa F. ziemlich flott. Kein Wort des Klagens kommt über ihre Lippen. „Man lernt das Leben zu schätzen“, hört man eher in dankbarem Ton von ihr.
Auch im Rückblick auf dieses doch schon ordentlich lange Leben dominiert meist ein optimistischer Ton. Ist halt so, wenn man ein wichtiges Motto des Vaters auch für sich angenommen hat. „Hinfallen ja, aber aufstehen“, das habe „der Papa“ immer gesagt.
Und ein Papa-Kind war sie, bei ihm ist sie geblieben, als die Mama nach ein paar Jahren im Osten wieder zurück nach Krefeld wollte. Gisa F. war fünf Jahre alt, als die Familie nach Weimar ging. Der Vater gab den Job als Bühnenbildner am Opernhaus Düsseldorf auf, um den Malerbetrieb des Großvaters zu übernehmen.
„Es war die schönste Zeit als Kind“, sagt sie im Rückblick. „Wir hatten alles, was wir brauchten, man kannte es nicht anders.“ Dazu gehörten auch die Arbeitsaufträge als Schulkind: bei der Kartoffelernte mitarbeiten, Einkaufen gehen, Kohle in den Keller schaffen, „das war halt so“.
In die gute Zeit zählt Gisa F. auch die knapp drei Jahre DDR, die sie miterlebte, geprägt von „Geboten und Werten“, Schule und Sport etwa. Kino, Disco und Barbesuche, wie sie aus dem Westen hörte, gehörten nicht dazu. Stattdessen Junge Pioniere, FDJ, Werte eben.
Erst in Weimar, zuletzt in Karl-Marx-Stadt, bevor sie mit 17 wieder nach Krefeld kam. Mit Ausbildung für Kauffrau im Einzel- und Großhandel. Später hat sie noch Hotelfachfrau gelernt. Aber erst kam die Ehe, mit 18 Jahren hat sie geheiratet, zwei schnelle Kinder, es ging nicht gut.
Zu viel Alkohol vor allem hat die Gewalt im Mann geweckt, drei Jahre hat sie es ausgehalten, dann wollte sie ihre „eigene Geschichte machen“. Die Arme eines neuen Mannes waren weit offen, als sie ankam. „Ein Italiener“, sagt sie mit verklärter Stimme in Erinnerung an die erste Zeit.
Vier weitere Kinder kamen in ihr Leben, der Mann betrieb ein Restaurant und wollte irgendwann mehr. Die 80er Jahre sieht sie als „Goldene Jahre“ der Branche. Es ging ihnen gut, ein Grundstück in Italien wurde gekauft, dort wollten sie bauen. Dann haben sie alles verloren, hatten für die Rente nichts gespart.
„Eine Weile habe ich auch mich selbst verloren“, so Gisa F., eine Therapie hat geholfen, zusammen mit dem Lebensmotto des Vaters vom Hinfallen und Aufstehen. Aber die bittere Erkenntnis obsiegt, dass „Gastronomie der Tod einer Familie“ sein kann.
Längst lebt Gisa F. allein, die Kinder, zehn Enkelkinder und vier Urenkel halten sie auf Trab und bei guter Laune. „Ich komme gerade über die Runden“, sagt sie, 840 Euro Rente müssen reichen für die Miete der kleinen Wohnung und fürs Leben. „Ich habe ein Dach über dem Kopf, Essen, Kinder in der Nähe, alles ist gut.“
Natürlich ist es immer eng, aber da hilft die FR-Altenhilfe schon seit ein paar Jahren. „Meine Rettung“, freut sich Gisa F., da ist mal eine neue Matratze drin, was für die Kücheneinrichtung, ein paar Stiefel oder einen Wintermantel. Jürgen Streicher