Bild: Hans-Georg Kumpfmüller

Zum ersten Mal aus dem Ruder gelaufen ist das Leben von Udo H., da war er noch ein Bub an der Schwelle zum Jugendlichen.

Da hat er die Schule schleifen lassen, hat sich „ein bisschen rumgetrieben“, war aufsässig. Die Mutter, alleinerziehend, vollbeschäftigt, wusste sich nicht mehr zu helfen, auch Oma und Opa in der Heimatsiedlung konnten nicht helfen. Udo H. wurde fortgeschickt, in ein Kinderheim in Niedersachsen.

Anfang der 60er Jahre, da gab es noch Strenge und Schläge in solchen Einrichtungen. „Man hat mich genötigt, eine ganz schön harte Zeit“, sagt der 71-Jährige im Rückblick. Gerne würde er sagen, es habe ihm nicht geschadet, er weiß, dass es anders war, „es hat mich mein Leben lang begleitet“.

Ganz anders die Erinnerung an die DDR, wie Udo H. sagt, aus der er mit der Familie noch rechtzeitig vor dem Mauerbau geflüchtet ist. Familie, das war die Mutter, die drei Jahre ältere Schwester und ein Cousin. Ziel war Frankfurt, wo die Großeltern lebten.

Für die Flucht wurde er „präpariert“. Falls ihm Fragen gestellt würden, war das Ziel der Tierpark in Ostberlin. Es gab keine Fragen, es gab eine Woche Lager in Marienfelde, dann ein Auffanglager in Gießen, ehe Frankfurt und die Heimatsiedlung näher rückten.

Das Viertel in Sachsenhausen spielt bis heute eine wichtige Rolle in H.s Leben, es wird sein Hafen bleiben. Als er das erste Mal zurückkommt, mit 14 aus dem Kinderheim, „hat es Klick gemacht“. Udo H. kommt zurecht in der Schule, wird gar Schulsprecher, macht einen guten Hauptschulabschluss und dann eine „tolle Ausbildung“ zum Koch im Savigny-Hotel.

Danach Bundeswehr bei der Marine, stationiert in Frankreich und in List auf Sylt, und jeweils „wenig im Dreck gelegen“. Durch den Bund bekommt er eine zusätzliche betriebswirtschaftliche Ausbildung. Mit 22 Jahren fühlt er sich auf einem guten Weg. Er heiratet auch das erste Mal, eine junge Dänin.

Die Ehe hält elf Jahre, eine Tochter kommt dazu. Zwei weitere Ehen später kommt Udo H. zu der Erkenntnis, dass er bei den Frauen alles falsch gemacht hat. Als er noch mit seiner ersten Frau verheiratet ist, verguckt er sich in eine andere. Damals war er Betriebsleiter im Gastro-Management, später in ähnlicher Funktion bei einem Möbelhaus.

Sechs Jahre ging die zweite Ehe gut, die dritte wenig später habe ihn in den Ruin getrieben. Die Spielsucht seiner Frau habe alles zerstört, auf einmal sei alles weg gewesen, vor allem das Geld, er habe es nicht verhindert. Plötzlich stand er allein, mittellos und obdachlos da.

Die Mutter habe ihn aufgefangen, zwei Jahre in ihrer Wohnung in der Heimatsiedlung. Im Umfeld lebt er noch immer. Ab 60 war er nicht mehr vermittelbar, lebte von Grundsicherung. Im „Café Heimat“, das von Menschen mit Behinderung unter dem Dach der Caritas betrieben wird, hat er ab und zu ehrenamtlich gearbeitet, um „das Schlimmste, die Einsamkeit“, zu mildern.

Dabei hilft ihm auch wieder die FR-Altenhilfe. Udo H. spart jeden Euro. Einmal noch will er nach Schweden, da wohnt die Tochter mit drei Kindern. Zu ihr hat er weiter Kontakt. Jürgen Streicher