Die Tage gehen immer schneller dahin, je älter sie wird. Amalie P. empfindet das seit geraumer Zeit ganz extrem.
„Mir läuft die Zeit durch die Finger, das hätte ich so nie gedacht“, sagt sie im jetzt 77. Lebensjahr. Zu spät sei sie in ein „besseres, bewussteres Leben gekommen“.
Aufgewachsen an der Ostsee bei Travemünde, mit Gemüsegarten hinterm elterlichen Haus. Hühner, Hasen, auch die Tiere gehörten immer zum Nahrungskreislauf. Das hat für sie nie wirklich gestimmt. Seit 20 Jahren lebt Amalie P. vegan, spricht von einem langwierigen „Aufwachprozess“ bis zu dieser Wende.
Mit 18 Jahren ist sie weg von der heimischen Scholle an der Ostsee. Über die Zwischenzeit auf dem Weg nach Neu-Isenburg, wo sie nun schon „sehr lange lebt“, spricht sie nicht so gerne.
Vieles ist verschwunden im Nebel der Vergangenheit, geblieben ist die Einsamkeit. Amalie P. ist alleinstehend, es gibt keine Familie, keine Kinder, keine Enkel.
Sie habe immer alleine gelebt, sagt sie, „es gibt niemand zum Austauschen“. Auch eine kurze verheiratete Zeit ist rasend schnell vorbeigerauscht, sie musste viele „Lernprozesse“ durchstehen.
Als Kind wollte Amalie P. gerne eine Katze, mit 50 endlich wurde ihr dieser Wunsch erfüllt, es ist eine „zu mir gekommen“. Elf Jahre ist sie geblieben, dann war sie wieder allein. Hat zeitweilig als Hauswirtschafterin gearbeitet, auch da hat sie „viel nicht Schönes erlebt“.
Heute lebt sie ein sehr bescheidenes Leben in ihrer 45-Quadratmeter-Wohnung ohne Dusche und Badewanne. Ein Waschbecken im Bad, dazu drei Schüsseln fürs Waschen und Spülen, ein Leben am Minimum.
Morgens steht Obst, also ein Apfel und eine Banane mit 100 Gramm Haferflocken auf dem Speiseplan, mittags Gemüse mit Soja und Kartoffeln, abends 200 Gramm Brot mit zwei Esslöffeln Olivenöl.
Mit „sehr dünner Rente“ muss Amalie P. auskommen, die FR-Altenhilfe ist ihr nun schon seit einigen Jahren eine große Unterstützung, ohne die sie wohl nicht über die Runden kommen würde. Gekauft werden viele Sojaprodukte, getrocknete Vorräte, da kann sie viel sparen.
Auch bei den Großpackungen Totes-Meer-Salz, das sie ausschließlich zum Waschen benutzt, bei Zahnpasta und Zahnbürsten. Jetzt freut sie sich auf „eine vernünftige neue Lesebrille. Die brauche ich wirklich dringend.“ Jürgen Streicher