„Ein Ritt auf der Rasierklinge.“ Mit diesem einen Satz umreißt Jens P. seine derzeitige Situation.
Denn ihm bleiben nach Abzug der laufenden Kosten circa 100 Euro pro Woche – Geld, das der 69-Jährige gut einteilen muss, um seine tägliche Existenz zu sichern. Aufgestockt wird seine 370-Euro-Rente durch die Grundsicherung. Und: „Die regelmäßige Unterstützung der Altenhilfe ist eine willkommene, wunderbare Hilfe!“
Um wöchentlich über die Runden zu kommen, müssen die Einkäufe von Lebensmitteln akkurat geplant sein. „Ich studiere die Prospekte, suche die Angebote.“ Da die Preise stark angezogen hätten, gehe es ja nicht anders.
Unzufrieden ist der Mann, der am Rande Darmstadts anderthalb Zimmer zur Miete bewohnt, dabei keineswegs. „Mir geht es relativ gut“, sagt er und erwähnt eine vor Jahren absolvierte Operation am Herzen nur nebenbei.
Anstatt mit dem „kostspieligen“ Stadtbus fährt Jens P. lieber mit dem Fahrrad, sein „Ritual“ ist der tägliche Spaziergang im nahen Wald. Seine sozialen Kontakte sind überschaubar: „Ich kann mich gut selbst beschäftigen.“
Von seiner Ehefrau lebt der Rentner seit zwei Jahrzehnten getrennt, mit Sohn und Enkelkindern ist er im Austausch. Daneben genügen ihm die „hin und wieder“ anberaumten Treffen mit zwei Freunden aus der Jugendzeit.
Darmstadt ist der unbestreitbare Lebensmittelpunkt des 69-Jährigen. „Ich bin hier nie rausgekommen – was vielleicht ein Fehler war.“ Er wächst wohlbehütet heran, erlernt im Fernmeldeamt den Beruf des Fernmeldetechnikers, hängt noch zwei Semester des Studiengangs Ingenieurwesen an.
Obwohl die Tätigkeit „nicht meine war“, bleibt er sechs Jahre lang im Beruf, ist Mitarbeiter in einem namhaften Technologiekonzern. Dann lockt ihn aber die Selbstständigkeit. „Der Anfang vom Ende.“
Im Alter von 35 Jahren übernimmt Jens P. einen Tabakladen mit Toto-Lotto-Lizenz in der Innenstadt. Die Abstandszahlung muss er finanzieren – „davon habe ich mich dann nicht mehr erholt“. Nach 16 Jahren wechselvoller Geschäftsdauer kommt 2007 das Aus. „Insolvenz.“
Dem gebürtigen Darmstädter – „ich habe immer die falschen Entscheidungen getroffen“ – bleibt nur die Sozialhilfe. Trotz seiner Altersarmut ist Jammern für ihn keine Option: „Ich bin ja selbst schuld.“
Seit drei Jahren ist er Teil der großen Altenhilfe-Familie. Hatte sich Jens P. anfänglich eine Waschmaschine anschaffen können, verteilt er mittlerweile die Zuwendungen über Monate. Die Unterstützung bezeichnet er als „tolle, wichtige Sache“.
Hat er Wünsche für den Ausklang des Jahres 2024? Nach kurzem Überlegen sagt der Mann, der gerade im Selbststudium Englisch lernt: „Vielleicht einen Schreibtischstuhl, vielleicht neue Jeans.“ Olaf Velte