Als er aus Berlin weg musste, hat Roland U. geheult. Sagt er heute, mehr als 70 Jahre danach.
Es ist seine letzte Erinnerung an die vom Krieg gezeichnete Stadt, da war er 13 Jahre alt. In Berlin hatte der Junge Freunde, der Stiefvater drängte nach Frankfurt. Da wollte er große Geschäfte machen, mit Plastikfußbällen.
Die immer „herzensgute Mutter“ hat alles mitgemacht, an den leiblichen Vater erinnert er sich nur in Träumen. Er war noch zu klein, als der Papa nach Russland musste und nie mehr zurückkam.
In Friedrichsdorf stand schon ein gemietetes Haus bereit, aber fast wäre die Ankunft zum Desaster geworden. Noch so eine klare Erinnerung. Der Bub sollte im Auto warten, bei hochgeklappter Sitzbank wegen all der Plastikfußballutensilien. Da rollt der Wagen, ein Fiat Turbolino, in der abschüssigen Straße flott los, Roland U. hat Glück, er schafft den Absprung, bevor das Auto in einen Neubau kracht.
Kein gutes Omen für den Neustart, innerhalb von drei Jahren folgt der Crash des so hoffnungsvoll gestarteten Projekts Selbstständigkeit.
Von sich spricht Roland U. in der Bilanz über ein „bunt bewegtes Leben“, wobei er Details lieber ausspart. Von Friedrichsdorf zog die Familie nach Frankfurt, sie lebten meist im Umfeld des Hauptbahnhofs. Als er auszog, hat es ihn meist nicht lange an einem Ort gehalten. Die Handelsschule hat er absolviert, eine kaufmännische Ausbildung gemacht, danach ist er beim Stiefvater eingestiegen, der machte jetzt Geschäfte mit einem Betonsteinwerk.
Das ging sieben Jahre leidlich gut, bis sie bemerkt haben, dass sie von zwei Arbeitern „beklaut wurden“. Bei „Nacht und Nebel“ hätten diese ganze Lastwagenladungen abgefahren. Das brach dem Stiefvater geschäftlich das Genick, Alkohol habe ihm den Rest gegeben, er starb mit 60 Jahren.
Roland U. war 25 Jahre alt, hatte da ganz andere Dinge im Kopf. Das „bunte Leben“ mit immer wieder neuer Flamme. Zweimal war er verheiratet, das habe „nicht so richtig hingehauen“. Bilanz in dieser Sparte: Fünf Kinder mit fünf Frauen, die Pille war noch nicht in Mode. Jetzt hat er seit 30 Jahren die gleiche Freundin. Sie lebt in Darmstadt, der gemeinsame Sohn ist das einzige Kind, zu dem er Kontakt hat.
U. schlägt sich über viele Jahre als Lastwagenfahrer durch. Später arbeitet er für eine Spedition, zuletzt noch bis vor zwei Jahren hat er Kurierfahrten für Fluglinien erledigt, um ein paar Einnahmen zu haben.
Die Rente allein reicht nicht, mit der Grundsicherung kommt er zurecht. Von der FR-Altenhilfe wird er sich wohl eine neue Matratze leisten. Jürgen Streicher