Es summt und brummt im Schiff der Katharinenkirche. 400 Menschen sitzen dichtgedrängt an Tischen und auf den hölzernen Bänken. Viele sind schon früh gekommen. Viele sind schon lange dabei. Sie warten auf ein lieb gewonnenes Ritual: das alljährliche große Jazzkonzert der Altenhilfe der Frankfurter Rundschau.
Viele graue und weiße Haarschöpfe schimmern im Halbdunkel der Kirche. Traditionen sind wichtig gerade für ältere Menschen, von denen viele durch die Geschwindigkeit von Digitalisierung und Globalisierung beunruhigt sind. Vor 70 Jahren hat die Frankfurter Rundschau ihre Altenhilfe gegründet. Schon damals galt es, die Menschen zu unterstützen, die auf der Schattenseite der glänzenden Großstadt lebten. Das gilt heute um so mehr, in einer Zeit, in der die soziale Spaltung in Arm und Reich in der Stadt zunimmt.
Hans Dieter Klein, Vorstandsvorsitzender der Altenhilfe, nennt in seiner Begrüßungsrede beeindruckende Zahlen: Mehr als 35 Millionen Euro hat die Frankfurter Rundschau seither für alte und bedürftige Menschen gesammelt, rund 1000 Alte in Not versorgt sie regelmäßig. Auch in diesem Jahr ist bereits eine große Summe zusammengekommen. Knapp 412 000 Euro waren am 30. November in der Spendenkasse der Altenhilfe eingegangen.
Draußen im Foyer sammeln sich die Jazzer der „FR-Allstars“ für das traditionelle „Marching In“, den Einzug der Musiker quer durch die Kirche bis vor den Altar, wo sie dann drei Stunden lang spielen werden.
Vor 45 Jahren, im Winter 1974, hatte es das erste Jazzkonzert gegeben. Es war Lothar Vetter, der damalige Leiter der FR-Lokalredaktion, der die Band „Red Hot Hottentots“ engagiert hatte. Damals spielte man noch unter freiem Himmel. Und da es seinerzeit noch echte Winter gab in Frankfurt mit minus 15 Grad Kälte, froren den Musikern gelegentlich die Instrumente ein. Einer musste dann in die Apotheke geschickt werden, um medizinischen Alkohol zum Auftauen von Trompete und Saxofon zu holen.
Doch an diesem Abend werden draußen vor der Kirche, inmitten des Weihnachtsmarktstrubels, fast zehn Grad plus gemessen. Und das Kircheninnere ist ohnehin gemütlich geheizt.
Im Foyer ist tatsächlich noch ein Veteran aus der Zeit von vor 45 Jahren dabei. Horst Buchberger, der Schlagzeuger der „Red Hot Hottentots“. Der 81-Jährige hat sich eine Trommel umgehängt, hält zwei Stöcke in der Hand und wartet auf das Signal von Bernd K. Otto, dem musikalischen Leiter der „FR-Allstars“. Und dann gehts los: Einmarsch in die Kirche mit der unsterblichen „Bourbon Street Parade“.
Die Leute hält es nicht mehr auf den Sitzen, sie springen auf, klatschen rhythmisch, überall werden Smartphones gezückt, Blitzlichter flammen auf. Vorneweg tanzt die Saxofonistin Melanie Schwesig, noch ohne Instrument, sie schwenkt einen Schirm in den Farben des Regenbogens.
Und der Lindwurm der Musiker folgt und lässt die Menschen jubeln. Da ist der Veteran: Wilson de Oliveira aus Montevideo am Tenorsaxofon, jahrzehntelang Star in der HR-Bigband. Der Pianist Dirk Raufeisen aus Hanau, auch durch seine Duelle mit Boogiestar Christoph Oeser bekannt. Es folgt der Klarinettist Danyel Nicholas, zwischendurch in New York, jetzt wieder in Hessen. Jörg Kuhfuß bläst das voluminöse Sousafon – viel mehr als nur ein Rhythmus-Instrument! – und dann ist da noch ein großes Talent aus Mainz: der erst 26-jährige Trompeter Marko Mebus.
Und natürlich Christoph Wackerbarth, einer der besten deutschen Jazzposaunisten, dem aber auch die Barockmusik vertraut ist. Bernd K. Otto hält am Banjo diesen Haufen musikalischer Individualisten zusammen. Auf der Bühne herrscht ein sympathisches Chaos, da die „All Stars“ in dieser Besetzung nicht oft zusammen spielen. Musikalisch aber bringt der erste Programmteil wunderbare Standards in durchaus ungewöhnlichen Arrangements. Höhepunkt ohne Zweifel das expressionistische „The Mooche“ von 1928, in dem der große Pianist und Bandleader „Duke“ Ellington seine Vorstellung vom Dschungel niedergeschrieben hatte – mit den Schreien der gestopften Posaune.
„Margie“ beginnt Otto ganz alleine am Banjo auf der Bühne, lässt dann nach und nach die anderen Mitglieder der Band dazustoßen. An den Tischen und in den Bänken ist die Stimmung famos. Natürlich fließt Ebbelwei in Strömen und es gibt Schmalzbrote und Knusperstangen, Kreppel und Pfefferbeißer am Büfett.
Nach der Pause demonstrieren Marko Mebus an der Trompete und Dirk Raufeisen an der Orgel der Katharinenkirche dann, was diese beiden Instrumente sich musikalisch zu sagen haben – eine ganze Menge. Zunächst interpretieren die beiden Fats Wallers Liebeslied „Honeysuckle Rose“, das schon 1928 eine Menge frivoler Anspielungen barg. Und natürlich erklingt dann das Weihnachtslied par excellence: „White Christmas“.
Nach 21 Uhr übernehmen dann famose Bluesmusiker um den Frankfurter Gitarristen Bernd Simon und den Sänger Tommie Harris das musikalische Regiment – es wird härter und rauer auf der Bühne. Und es ist am Ende Mitternacht, als Christoph Wieland von der FR-Altenhilfe und Hauswart Georgios Pouziaras die leere Katharinenkirche abschließen. Claus-Jürgen Göpfert