Mehr als hundert Meter am Stück können beide nicht bewältigen. Ausgreifende Spaziergänge sind seit Jahren unmöglich. „Aber bewegen müssen wir uns“, sagt Barbara V., die mit ihrem Lebensgefährten Helmut in Wiesbaden lebt.
Das unverheiratete Paar gilt als „Bedarfsgemeinschaft“, bedacht mit der Grundsicherung. Die Seniorin – gerade ist sie 80 Jahre alt geworden – ist überall auf den Rollator angewiesen, ihr Partner kann sich nur mit zwei Krücken fortbewegen. Auf fremde Hilfe – darin sind sich beide einig – seien sie ständig angewiesen.
Mit Unterstützung eines Fahrdienstes werden Arztbesuche oder Einkaufstermine organisiert, die Nachbarn kümmern sich ebenfalls zuweilen. Eine Haushaltskraft des Pflegedienstes kommt einmal pro Woche für zweieinhalb Stunden in die 61 Quadratmeter große Mietwohnung. Mehr als 700 Euro beträgt die monatliche Miete. „Uns bleiben zwischen 300 und 400 Euro für den Alltag.“
Den einstigen Willen zur Unabhängigkeit bezeichnet der 73 Jahre alte Mann im Rückblick als „Fehler“. Beruflich im Großhandel der Pharmabranche verortet, strebt der Jüngling nach Höherem – und verschuldet sich. „Der Berg war dann irgendwann nicht mehr abzutragen.“
Ein Experiment sei auch die Beratung in einer juristischen Angelegenheit gewesen. „Obwohl in Rechtsfragen versiert, kam es nicht zum guten Ende.“ Daneben belastet eine gesundheitliche Talfahrt, die vor 15 Jahren eingesetzt hat.
Die erste Operation des „diabetischen Beines“ zieht weitere nach sich, Fehleinschätzungen von Ärzten paaren sich mit Infektionen und Vereiterungen. „Da wurde viel Murks angerichtet“, so der seit sieben Jahrzehnten in Wiesbaden lebende Helmut V. 30 Jahre ist es her, dass er mit seiner Partnerin zusammengezogen ist. Barbara hatte damals ihren Ehemann – einen Bundeswehr-Offizier, „kennengelernt auf dem Offiziersball“ – verloren, lebte als OP-Krankenschwester in gesicherten Verhältnissen.
„Vier Jahrzehnte lang habe ich in verschiedenen Kliniken gearbeitet“, sagt sie. Einmal bricht sie sich beim Heben eines Kranken das Becken, wird von lädierten Bandscheiben geplagt. „Nur regelmäßiges Schwimmen hilft gegen die Versteifungen“, sagt die Frau, die 1939 in Wunsiedel – „im schönen Fichtelgebirge“ – zur Welt gekommen ist. Dort lebt ihre Schwester, deren zeitweilige Zuwendungen für Entlastung in der Haushaltskasse sorgen.
Entlastend ist auch die Unterstützung der FR-Altenhilfe: „Das hilft immer eine Wegstrecke weiter.“ Gerade hat der Staubsauger seinen Betrieb eingestellt – „und der Kühlschrank ist schon so alt“. Ängste, die sich im alltäglichen Dasein eingenistet haben. „Immer kann etwas kaputtgehen.“
Beim Lebensmitteleinkauf leistet sich das Paar hin und wieder frisches Gemüse und Obst vom Markt, zum Weihnachtsfest wird ausnahmsweise eine Mahlzeit vorbestellt. „Den Heiligen Abend wie damals im Fichtelgebirge können wir sowieso nicht mehr feiern.“
Beide haben noch immer Spaß an der Musik, bevorzugen Operetten- und klassische Melodien. „Ein Gegenmittel, das die Sorgen vertreibt“, sagt Barbara V. Doch auch hier eine Einschränkung: „Leider ist der Schallplattenspieler seit geraumer Zeit defekt.“ ov