Auch mit seinen 76 Jahren gibt sich Rudolf P. noch als Haudegen, sein „Meenzer Schlappmaul“ hat er trotz aller Härten des Lebens nie verloren. Dazu hat er zu viel erlebt, vielleicht auch zu viel überlebt.
„Ich nehme es, wie es ist“, sagt er, eine andere Chance hat er ja nie gehabt. Die Liste seiner Krankheiten von Kindesbeinen an klingt übel. Mumps, Diphterie, Keuchhusten, Wasserpocken, vor allem aber Poliomyelitis, die gefürchtete Kinderlähmung.
Mit Klumpfuß hat er erst mit drei Jahren laufen gelernt; sein Zwillingsbruder stirbt mit acht Monaten. Später notiert das ärztliche Bulletin in seiner Krankenakte noch die Schweinegrippe und die Hongkong-Grippe; seit einer offenen Tuberkulose 1977 gilt er als schwerbehindert.
Mainz und sein Umfeld bleiben immer die Heimat von Rudolf P., ihr ist er treu geblieben. Messdiener war er im Mainzer Dom, den Rhein hat er im kalten Winter 1956 zugefroren erlebt; da habe man auch wie heute gebibbert, ob der Heizstoff reicht. Fünf Zentner Eierkohlen gab’s, drei Zentner Briketts, zwei Packen Anmachholz, das musste reichen für die Familie.
Trotz alledem spricht Rudolf P. von einer guten Kindheit. Mit „strengen, aber guten Eltern“, die Mentalität vom Vater, er war Major, hat er adaptiert und an die beiden Söhne weitergegeben; einer arbeitet heute bei der Bundeswehr.
Keine Karriere für ihn aufgrund seines komplexen Krankheitsbildes, er lernt Kfz-Mechaniker „bei Mercedes“, hat sogar den Meisterbrief und ein Diplom als Verkehrsbetriebswirt. Die Tuberkulose wirft ihn fast gänzlich aus dem Berufsleben. Aber „was kimmt, kimmt, was geht, geht“, so einfach ist das im Kopf.
Rudolf P. macht viele Führerscheine, auch für Bus und Lkw, hat Fahrerjobs, arbeitet „bei de Amis“ als Hausmeister, nennt sich „Facility Manager“. Nach der Scheidung 1989, die ihn viel gekostet hat, ist er ganz raus aus der angestellten Arbeit, hat „net mer geklebt“.
Da bleibt nur eine kleine Rente, ein bisschen Grundsicherung kommt dazu, die Miete ist teuer. Jeden Betrag weiß er auswendig auf Euro und Cent; immer geht es darum, sich „über Wasser zu halten“.
Heute lebt Rudolf P. in einer Seniorenwohnanlage in Mainz-Kastel. Da ist er mit 60 Jahren eingezogen, mit seiner Verlobten, die dann, acht Jahre jünger als er, 2016 verstorben ist. Auch damit musste er leben, musste es verkraften. Jetzt ist sein „Autochen“ sein wichtigster Begleiter; ein Elektroscooter, der ihn im Leben hält.
Mit ihm kann er auf der Straße fahren und im Supermarkt, kann öffentliche Verkehrsmittel nutzen, er versorgt sich selbst. „Wenn ich des net hätte, wäre ich lebendig begraben. Und seit ich euch hab, ist Ostern und Weihnachten wieder schön“, sagt er dankbar für die Unterstützung der FR-Altenhilfe. Der Scooter braucht dringend Reparatur und Ersatzteile. Jürgen Streicher