Mit Schwung durch den Grüneburgpark: Fahrer Wolfgang Dick und Fahrgast Helga Budig auf der Malteser-Rikscha. (Bild: Michael Schick)
Wolfgang Dick bereitet schon einmal die rote Decke vor. Sorgsam befestigt er sie auf einer Seite der Rikscha, die den Schriftzug „Malteser“ trägt. Die andere Seite lässt er noch offen, bis sein heutiger Fahrgast später Platz genommen hat.
Dann klingelt der Rikschafahrer bei Helga Budig. „Der Malteser Rikscha-Dienst“, sagt er über die Sprechanlage zu der 81-Jährigen. Dann hilft er ihr beim Herabsteigen der Treppen und dem Einstieg in die Rikscha. Anschließend schwingt sich Dick selbst auf das Rad und fährt los. Ziel ist an diesem Tag der Frankfurter Grüneburgpark.
Seit 2020 gibt es das Angebot der Rikschafahrten beim Malteser Hilfsdienst in Frankfurt. Während der Corona-Pandemie bot das Projekt an der frischen Luft eine gute Gelegenheit für Zerstreuung und vor allem für mobilitätseingeschränkte ältere Menschen die Chance, an Orte zu kommen, die sie selbst nicht mehr erreichen können. Auch 2023 sei das Angebot der Rikschas wieder stark nachgefragt, heißt es von Seiten der Malteser. 18 Pilotinnen und Piloten sowie eine Stammkundschaft von 76 Personen gibt es derzeit.
Auch Helga Budig ist nicht das erste Mal mit dem Gefährt unterwegs. Die gebürtige Saarländerin lebt seit 1971 in der Mainmetropole. „Am liebsten war ich immer im Palmengarten“, verrät sie während der Fahrt. Mittlerweile ist sie auf einen Gehstock angewiesen. „Es ist schwierig, wenn man schlecht laufen kann“, sagt Budig. Dank der Rikscha kann sie nun weitere Strecken an der frischen Luft zurücklegen. Zum fünften Mal nutzt sie die Möglichkeit zum Rikschafahren.
Fahrer Wolfgang Dick ist seit 2021 dabei. Mit blauem Fahrradhelm und stilechtem Malteser-T-Shirt sitzt er auf dem Sattel und hat sich langsam, aber sicher warm gefahren. „Es ist nicht so schwer“, versichert der 66-Jährige. Dank der Unterstützung des Elektromotors lasse sich die Rikscha gut bewegen. „Es ist aber anders als Fahrradfahren“, sagt Dick.
Die Rikscha hat drei Räder und durch das Gewicht vorn ist es ein anderes Fahrgefühl als auf dem Zweirad. Jede Fahrerin und jeder Fahrer erhalte aber vor der ersten Fahrt eine theoretische und praktische Schulung. Erst wenn man sich sicher fühle, mache man sich mit Fahrgast auf den Weg. Durchschnittlich hat jeder Pilot eine Tour pro Woche. Man kann sich die Zeit aber frei einteilen. Dick als Ruheständler kann auch unter der Woche radeln. Viele sind aber noch berufstätig und fahren dann unproblematisch am Wochenende.
Unterwegs ist die Rikscha in der Regel von März bis November, je nach Wetter und Temperaturen. Für die Seniorinnen und Senioren ist das Angebot kostenlos. Sie werden entweder zu Hause abgeholt oder man vereinbart einen anderen Treffpunkt. Danach ist man gut eine Stunde unterwegs, wobei niemand die Zeit stoppt. Hauptsache, beide Parteien haben Spaß.
Bei Budig und Dick ist das an diesem Tag auf jeden Fall so. Die Chemie zwischen den beiden stimmt. „Haben Sie einen Tipp für meine Tomatenpflanze?“, fragt sie ihn. Der 66-Jährige hat einen Garten und glänzt auch so mit Wissen über Natur und besonders die Flora. Anbinden, viel Sonne und keine Staunässe sind Dicks spontane Ratschläge. Später gibt er noch einen Exkurs zum einstigen US-Hauptquartier auf dem heutigen Gelände der Goethe-Universität im Westend.
Die Freundlichkeit, mit der beide sich begegnen, erfährt der 66-Jährige aber auch im Straßenverkehr, wenn er die Rikscha navigiert. „Wir werden immer positiv aufgenommen“, erzählt Dick. Mitunter würden Autos auch anhalten und in Ruhe Vorfahrt gewähren – das habe er privat auch schon anders erlebt. Generell habe sich in Frankfurt „fahrradfahrtechnisch“ viel getan. Abgegrenzte Fahrradwege und markierte Fahrradstreifen beispielsweise. „Hier hätte ich mich früher nicht lang getraut“, sagt der 66-Jährige, als er die Miquelallee überquert.
Aber es gibt auch negative Seiten. „Frankfurt besteht nur aus Pollern“, sagt Dick. Was für normale Fahrräder noch machbar sei, wird mit Rikscha schon schwierig. Ohne Kratzer durch die schmalen Absperrpfähle am Ende vieler Radwege zu kommen, sei schon eine Leistung. Doch auch für Rollstuhlfahrer:innen und Kinderwagen seien die engen Abstände nicht ohne.
Im Park angekommen, zeigt Dick den blühenden Rhododendron und verschiedene Kastanien. Ein Eichhörnchen hüpft filmreif über den Weg. Die Vertiefungen an manchen Stellen des Weges erschweren das Fahren etwas. Der guten Laune tut dies aber keinen Abbruch. In der Nähe des Spielplatzes fragt ein Kind verdutzt: „Was macht der da?“ Die Rikscha ist ein Hingucker und nichts Alltägliches.
Helga Budig ist mit Sicherheit nicht das letzte Mal mit ihr gefahren. Wandern oder Ausflüge zu Fuß seien nichts mehr für sie. Ihre Tochter wohnt 60 Kilometer entfernt, da sind spontane Besuche nicht einfach. Umso dankbarer sei sie, dass es die Angebote der Malteser gibt. Neben einem Besuchsdienst nutzt sie vor allem die Rikschafahrten. „An manchen Stellen wird man gut durchgeschüttelt. Aber dann weiß man auch, dass man noch lebt.“ Steven Miksch