Lothar Vetter mit seinem Hund im Jahr 2021. (Bild: Christoph Boeckheler)

Die Lebenszeit lässt sich nicht anhalten, sie vergeht. Bei unserem letzten Treffen im Frühsommer war Lothar Vetter von seinem Alter gezeichnet. Doch er blieb freundlich, fröhlich, zugewandt.

Jetzt ist der Mann, der für Generationen ein Gesicht der Frankfurter Rundschau war, gestorben. Der Vater der FR-Altenhilfe, der ehemalige Frankfurter Lokalchef der Zeitung, wurde 93 Jahre alt.

Das Leben eines Journalisten, das von frühen Erfahrungen geprägt war. Als Jugendlicher, im Alter von 13 Jahren, erlebte er die blutigen Kämpfe in Deutschland am Ende des Zweiten Weltkriegs, das Einrücken von US-Truppen in seine Heimatstadt, das thüringische Sonneberg.

Mit der DDR, die 1949 gegründet wurde, und ihrer Politik haderte der junge Mann rasch: Es wuchs in ihm eine Sehnsucht nach Freiheit und Selbstbestimmung. Bald riskierte er viel, arbeitete verdeckt als Fluchthelfer, der nachts gefährdete Menschen über die grüne Grenze in den Westen brachte – sogar ein Bischof war darunter.

1952 floh er dann selbst, ließ seine erste Heimat hinter sich. Frankfurt am Main wurde seine zweite. Vorher hatte er in Würzburg Germanistik studiert, wollte mit Sprache umgehen, wollte schreiben. Wieder eine frühe Erfahrung, die nachwirkte: Um sein Studium zu finanzieren, arbeitete er unter harten Umständen in einer Kugellagerfabrik im schwer kriegszerstörten Schweinfurt.

Über diese Arbeitswelt wollte er schreiben. Und er kannte nur eine Zeitung, die solche Reportagen Ende der 50er Jahre veröffentlichte: die Frankfurter Rundschau. 1959 begann er dort zu arbeiten. Und es war der damalige FR-Herausgeber und Chefredakteur Karl Gerold, der Vetter seine Lebensaufgabe zuwies: Die Altenhilfsaktion der FR.

Schwarzer Hut und roter Schal waren die Markenzeichen bei seinen öffentlichen Auftritten über Jahrzehnte. Mit seiner Fantasie, mit seinen Ideen machte der Redakteur die Altenhilfe bekannt und populär, begründete mit anderen den großen finanziellen Erfolg der Aktion für alte und bedürftige Menschen bis heute.

Er holte die Jazz-Band Red Hot Hottentots, die dann mehr als 40 Jahre für die Altenhilfe spielte; legendär die Auftritte in der ausverkauften Katharinenkirche in der Vorweihnachtszeit.

Es muss aber auch von dem Journalisten Lothar Vetter die Rede sein. Der Redakteur machte sein Vorhaben wahr und berichtete aus der Arbeitswelt. Seine berühmteste Reportage „Auf dem Leib sind sie manchmal gekrochen“ aus dem Jahr 1968 über die harten Arbeitsbedingungen auf den Frankfurter U-Bahn-Baustellen brachte ihm 1968 den Theodor-Wolff-Preis ein, die höchste Auszeichnung im deutschen Journalismus.

Viele Geschichten schrieb der Journalist über das Leben alter, kranker, einsamer Menschen in der Großstadt Frankfurt: Er brachte den Leserinnen und Lesern dieses verdrängte Elend greifbar nahe. Auch das wird sein Verdienst bleiben. 1996 kam zwar offiziell der Ruhestand, doch Vetter engagierte sich weiter für die FR-Altenhilfe.

Aber er hatte jetzt endlich mehr Zeit für seine große Leidenschaft, das Hochseesegeln. Mit leuchtenden Augen erzählte er bis ins hohe Alter hinein von den großen Fahrten, die er mit Freunden unternahm. Von Brasilien bis zu den Kanarischen Inseln, von der Nordsee bis an den Polarkreis.

Lothar Vetter war eine der Persönlichkeiten, die das Bild der Frankfurter Rundschau von den 60ern bis in die frühen 2000er-Jahre prägten. Vielen Menschen hat er geholfen, ohne jemals großes Aufhebens darum zu machen. Auch die Zeitung hat ihm viel zu verdanken.
Claus-Jürgen Göpfert