Bild: Monika Müller

Auch heute noch macht Imke D. jeden Morgen ein paar Dehnübungen, um sich fit und bei Laune zu halten.

Meistens in der Küche, das ist ihr Lieblingsort in der Wohnung, sie kocht für ihr Leben gern. Aber sie sei trotzdem immer schlank geblieben, sagt sie. Trägt sogar abgelegte Kleider von der 17-jährigen Enkelin, die passen nach einem bisschen Kürzen.

Das spart Geld, das sie ohnehin nicht hat. Kleidung und Frisur müssen oft zurückstehen, die Rente geht komplett für die Miete drauf, 890 Euro warm für 67 Quadratmeter im Eschborner Ortskern.

Vor ein paar Tagen hat Imke D. ihren 86. Geburtstag gefeiert. Fast alle Gratulanten riefen nur an: Die Verwandtschaft mit vier Kindern, sieben Enkeln und einem Urenkel ist weit verstreut. Und sie nicht mehr ganz so gut unterwegs nach mehreren Stürzen, meist im Garten des Mehrfamilienhauses, in dem sie lebt. Da hat sie immer gerne gearbeitet, bis vor kurzem noch die Rosen geschnitten.

„Ich kann nicht mehr alles so gut koordinieren“, sagt sie. Sie sei langsamer geworden, habe leichte Gleichgewichtsstörungen, manchmal auch Benommenheit, vielleicht Folgen von Hüft- und Knie-OPs. „Aber ich habe den Mut nicht verloren.“

So war Imke D. immer. Mutig, wie damals in der DDR, wo sie aufgewachsen ist – nach den Kriegswirren und der Flucht mit der Familie aus der Niederlausitz Richtung Berlin. Sechs Jahre war sie alt, als sie auf Großvaters Wagen aufgebrochen sind. „Wir mussten flüchten“, mehr mag sie über diese Zeit gar nicht erzählen.

Ihr Mut, „unvorsichtige Äußerungen“ zu machen, hätten ihr viel „vermasselt“ im Osten. Sportlehrerin wollte sie werden, das konnte sie knicken, sie wurde in die ungeliebte Ausbildung zur Herrenschneiderin geschickt.

1957 haute sie ab, direkt nach der Gesellenprüfung, da war sie 19 Jahre alt. Nur weg, bei Kelkheim gab es Verwandtschaft, über das Arbeitsamt bekam sie eine Stelle im Haushalt einer Familie.

Zwei Jahre später, die Einsamkeit war groß, lernte sie einen Mann kennen. „Der hat mir zugesagt, war ruhig, vernünftig, lieb.“ Im nächsten Jahr Heirat, vier Kinder in elf Jahren, aber „er ging immer mehr rückwärts“. Trank zu viel. Sie ließ sich scheiden.

Und blieb mutig. Bis das Glück mit einem Fischwagen vorbei kam. Den Mann am Steuer kannte sie von manchem Einkauf, an diesem Gründonnerstag nahm er sie mit auf Tour.

Nach der Arbeit, nach dem Schließen der Klappe, schauten sie sich an, nahmen sich in den Arm und küssten sich vorsichtig. „Ich war 31, er 50, wir hatten 40 schöne Jahre miteinander.“ Und auch mit den Kindern konnte er gut.

Weit über das normale Rentenalter hinaus war Imke D. auf den Märkten in Eschborn, Kronberg, Hattersheim unterwegs, Fisch liebt sie noch immer. Manchmal kauft sie ihn im Supermarkt-Theke, wenn das Geld reicht.

Aber das reicht eigentlich nie. Die Miete frisst die Rente auf, leben muss sie von 329 Euro Grundsicherung. Eine „ganz tolle Einrichtung“ sei die FR-Altenhilfe zweimal im Jahr. Vielleicht reicht es damit doch nochmal für einen Urlaub. Ein Traum wäre das. Jürgen Streicher